Ein Beitrag von Marlena Brandner für die Reihen Climate Action Works.
In dem Andenstaat Ecuador wird 2008 eine neue Verfassung verabschiedet. Soziale Grundrechte, wie das Recht auf Gesundheit, Ernährung und Bildung, werden verankert. Die Wirtschaftsform soll nicht mehr sozial und marktwirtschaftlich ausgerichtet sein, sondern sozial und solidarisch. Die Natur bekommt eigene Rechte zugeschrieben, sie soll geachtet und geschützt werden – eine Lebensweise, die sich an der der indigenen Bevölkerung in der Region orientiert. Bekannt ist dieses Konzept unter dem Namen “Buen Vivir”. Mit der Verankerung des “Guten Lebens”, so die wörtliche Übersetzung, macht Ecuador Schlagzeilen als erstes Land der Welt, welches damit die Rechte der Natur rechtlich bindend in der Verfassung festschreibt.
Der neue Fokus der ecuadorianischen Regierung unter dem damaligen Präsidenten Correa sorgt für viel Hoffnung in dem Land. Hoffnung auf eine Zukunft, in der sich Ecuador nicht von westlichem Wirtschaftsdenken vereinnahmen lässt und sich die wirtschaftliche Ungleichheit nicht weiter verstärkt. Sondern eine Zukunft, in der Ecuador seine eigenen Wurzeln achtet und die Lebensweise der Indigenen zur Staatsräson macht. Auf der Weltbühne sorgt die neue Verfassung für Applaus: Gemeinsam mit Bolivien wird man zum Vorreiter für nachhaltiges Leben und Wirtschaften.
Ecuadors Weg zu einem der gefährlichsten Länder Südamerikas
16 Jahre später ist von dieser Euphorie nicht mehr viel zu spüren. Nach der Verabschiedung der neuen Verfassung erleben die Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer mehrere Krisen. Vor allem 2016 ist ein schwieriges Jahr: Die stark von Erdölexporten abhängige Wirtschaft – der Rohstoff macht rund 60% der Ausfuhren aus – spürt die Auswirkungen des globalen Preisverfalls des schwarzen Goldes. Drogenkartelle weiten ihre Präsenz im Andenstaat aus, so sehr, dass heute sogar von Reisen nach Ecuador abgeraten wird, zu hoch ist die Gefahr, Opfer von Gewalttaten oder Kriminalität zu werden. Die Bevölkerung leidet unter der zunehmenden Einflussnahme der organisierten Kriminalität, Ausgangssperren werden verhängt und regelmäßige Stromabschaltungen sind beinahe an der Tagesordnung.
Wie konnte es so weit kommen? Nach der Verankerung des Rechts auf gutes Leben mangelt es an deren effektiven Umsetzung. Die politische Klasse hält ihre Versprechen nicht. In einem Interview, das wir kürzlich mit dem ehemaligen Präsidenten der Verfassungsgebenden Versammlung Ecuadors, Alberto Acosta, führten, kritisierte dieser den ehemaligen Präsidenten Rafael Correa stark. “Er hat das Konzept entleert”, es von seinem Sinn befreit, es nicht umgesetzt. Acosta muss es wissen: Seinerzeit maßgeblich an der Festschreibung des Rechts auf ein Gutes Leben beteiligt, musste er in den darauffolgenden Jahren miterleben, wie die Umsetzung lahmt, gar zum Stillstand kommt.
Ein Tiefpunkt wird 2013 erreicht, als Correa die Yasuní-ITT-Iniative** für gescheitert erklärt, bei der zum Schutze der Umwelt und zum Wohle der indigenen Bevölkerung das Erdöl im gleichnamigen Nationalpark im Boden belassen werden sollte. Das Gebiet inmitten des Urwald wird schließlich für Bohrungen freigegeben.
Die Erdölförderung sorgt für erhebliche Belastungen für Mensch und Umwelt in Ecuador. Teile des Urwalds werden unwiderruflich zerstört. Durch defekte Leitungen gelangt Öl ins Meer. Als wäre all das noch nicht genug, kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen an der indigenen Bevölkerung, die sich illegalen Bohrungen entgegenstellt. Denn nicht nur für die Wirtschaft ist der Raubbau an der Natur eine willkommene Einnahmequelle, sondern auch die organisierte Kriminalität profitiert.
Die Macht der Kartelle
Manch einer mag sich an die Fernsehbilder zu Beginn dieses Jahres erinnern: Es zeigt vermummte, bewaffnete Bandenmitglieder, wie sie den staatlichen TV-Sender TC vor laufender Kamera stürmen und Journalisten bedrohen. Sie wollen damit zeigen, dass “sich niemand mit der Mafia einen Spaß erlauben darf”.
Das organisierte Verbrechen hat immer mehr Macht in dem Land. “Sie kontrollieren gewisse Instanzen des Staates. Man findet diese Gruppen sogar in der Justiz, in der Presse, sogar in der Polizei, in der Armee”, so Acosta bei unserem Interview. Kriminalität fällt in Ecuador auf fruchtbaren Boden: Die vergangenen Regierungen haben es versäumt, den Menschen eine Perspektive zu geben. Die Bildungsrate bleibt niedrig, die Armut wächst, die Weltlage verschlechtert sich, die schwierige wirtschaftliche Lage tut ihr Übriges. Ein willkommener Weg, um zumindest die kränkelnde Wirtschaft des Landes anzukurbeln, bietet die Erdölförderung. Gebiete, in denen eigentlich von der Erdölgewinnung abgesehen werden sollte, werden doch für den Raubbau an der Umwelt freigegeben. Zudem findet die Förderung des Rohstoffs immer häufiger illegal statt, unter der Initiative der “Narcos”, der Kartelle, die darin eine lukrative Einnahmequelle abseits des Drogenhandels sehen.
Damit weitet die Mafia ihr Aktivitätsgebiet aus. Wo man sich früher auf die Erpressung von Schutzgeld und Raub fokussiert hat, erzielt man heute mit Goldabbau und illegaler Erdölförderung hohe Gewinne. Heute sind in Ecuador rund 20 Mafiabanden aktiv.
All das zu Lasten der Menschen, der Natur und der gesamten Gemeinschaft. Indigene oder Aktivisten, die sich dem illegalen Raubbau entgegenstellen, werden von der Mafia und ihren Verbündeten eingeschüchtert, es kommt zu Gewalttaten. Seit 2016 hat sich die Mordrate in Ecuador verfünffacht. Heute zählt Ecuador neben Venezuela und Honduras zu den gefährlichsten Staaten Südamerikas. Ein starker Kontrast zum “Guten Leben”, wie es sich Acosta und seine Mitstreiter erträumt hatten.
Wie geht es weiter in Ecuador?
Erleben wir das vorläufige Scheitern des Konzepts Buen Vivir, des Lebens in Einklang miteinander und mit unserer Umwelt? Oder gibt es einen Lichtblick?
Aktuell fehlt es an einer langfristigen politischen Strategie, der aktuellen Entwicklung im Land etwas entgegenzusetzen. Wie so oft gibt es auch hier keine einfache Lösung für die komplexen Probleme des Landes. Der fehlende politische Wille, etwas an der Situation für weite Teile der Bevölkerung zu verändern, führt zu steigender Hoffnungslosigkeit. Das Terrain für engagierte Bauern, Indigene und Klimaaktivisten ist schwieriger geworden.
Vorerst also lautet die Antwort: Ja. Zumindest in Ecuador. Doch während das südamerikanische Land erst seine eigenen Herausforderungen zu bewältigen hat, sieht es für die Rechte der Natur im Rest der Welt besser aus. In Deutschland, in Bayern, werden Unterschriften gesammelt, um die Rechte der Natur zu schützen. In Spanien wurde mit der Lagune “Mar Menor” das erste Ökosystem in Europa mit Rechten ausgestattet. Das Max-Planck-Institut sieht die Rechte der Natur global gesehen sogar im Aufwind.
Und Acosta? Der Mann, der als Initiator der Verankerung von Buen Vivir in der ecuadorianischen Verfassung gilt, rät in unserem Interview dazu, sich gemeinschaftlich zu organisieren. In der Gruppe ist man stärker und kann mehr bewirken als Einzelpersonen. Für Buen Vivir wird er erstmal einen anderen Begriff suchen, um ihm dann hoffentlich neues Leben einzuhauchen. Denn Gemeinschaftssinn, ein Leben in Einklang mit der Natur und eine respektvolle Beziehung zwischen Mensch, Tier und Umwelt, das können wir überall gebrauchen.
** Was passierte bei der Yasuní-ITT-Initiative? 2007 erklärte die Regierung Ecuadors, Ölvorkommen, die im Yasuní-Nationalpark ausgemacht wurden, in der Erde zu belassen, sofern die internationale Gemeinschaft 50% des zu erwartenden Erlöses als Ausgleichszahlung aufbringen würde. Man hatte das Wohle der Natur sowie der indigenen Völker in dem Gebiet im Sinne. Das Geld kam nicht zusammen; die Initiative gilt als gescheitert, auch weil es an mangelndem politischen Willen zur Umsetzung fehlte.
Ein Beitrag von:
Marlena Brandner
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