56 Bürger*innen und 75 Delegierte der Interessengruppen haben zwischen Januar und Juni 2024 im ersten Südtiroler Klimabürger*innenrat und dem Stakeholder Forum Klima die Maßnahmen des Klimaplans Südtirol 2040 begutachtet, diese teilweise ergänzt sowie Vorschläge für neue, weiter reichende Maßnahmen ausgearbeitet. Die Ergebnisse dieser Arbeit haben die Sprecher*innen der beiden Gruppen, unter anderem auch Mitglieder von Climate Action South Tyrol, am 17. September 2024 der Südtiroler Landesregierung präsentiert.
Die Maßnahmen des Klimaplans sollen das Land Südtirol bis zum Jahr 2040 netto-klimaneutral machen. Netto-Klimaneutralität bedeutet, dass entweder keine Treibhausgase mehr ausgestoßen oder Treibhausgasemissionen vollständig kompensiert werden. Auf dem Weg dahin müssen in unserem Land die CO2-Emissionen bis 2030 um 55% und bis 2037 um 70% gegenüber dem Stand von 2019 reduziert werden.
Der Planet Erde muss bis 2050 klimaneutral sein, damit die durchschnittliche Erderwärmung unterhalb der Zwei-Grad-Marke bleibt – andernfalls ist mit katastrophalen Folgen zu rechnen, einen Vorgeschmack erleben wir bereits jetzt. Das Europäische Klimagesetz (VO 2021/1119) sieht folglich auf EU-Ebene Klimaneutralität bis 2050 vor. Im Vergleich dazu ist Südtirols Klimaziel ambitionierter – aber die bisher im Klimaplan enthaltenen Maßnahmen sind zu vage formuliert, nicht vollständig, nicht rechtlich verbindlich und daher sehr wahrscheinlich nicht ausreichend, um dieses Ziel tatsächlich bis 2040 zu erreichen. Die Wetterextreme der jüngsten Zeit lassen jedenfalls keinen Zweifel daran, dass die sozialökologische Transformation hin zur Klimaneutralität sehr schnell erfolgen muss. In allen wesentlichen Bereichen – Energie, Mobilität, Bauwesen, Konsum, Produktion sowie Ernährung und Landnutzung – die benötigten Rahmenbedingungen für die Transformation zu schaffen, das ist die Aufgabe der Landesregierung. Dabei lässt sie sich von Bürger*innen und Interessenvertreter*innen beraten. Tatsächlich haben Bürger*innenräte in anderen Ländern (Frankreich, Österreich, Deutschland…) bewiesen, dass Bürgerinnen und Bürger in solchen Gremien sehr verantwortungsbewusst arbeiten und konstruktive, ambitionierte Vorschläge machen. Durch die Einbindung der relevanten Interessenvertretungen (Stakeholder) wiederum gelingt es im besten Fall, eine breite Akzeptanz des Klimaplans und ein Commitment zur Umsetzung der Maßnahmen zu erreichen.
Bürger*innen und Interessenvertreter*innen marschieren gemeinsam
Zu welchen Erkenntnissen sind also der Klimabürger*innenrat und das Stakeholder Forum Klima hierzulande gelangt? Im Detail mögen sich die Vorschläge der beiden Gruppen voneinander unterscheiden, im Großen weisen die Vorschläge der Bürger*innen und jene der Interessenvertreter*innen aber in dieselbe Richtung. Schlüsselbegriffe aus den Ergebnispräsentationen am 17. September sind Vermeiden, Schützen, Wertschätzen, Qualität statt Quantität, Effizienz und Effektivität. Zwei konkrete Forderungen aus dem Bereich Energie betreffen den Ausbau der Photovoltaik um zusätzlich 1.500 bis 2.000 MW sowie den Ausstieg aus fossilen Gasheizungen und aus dem Gasmarkt. Im Bereich Wohnen wird nichts Geringeres als eine kulturelle Transformation, vom Neubau hin zu einer Kultur des Sanierens, des Umbaus und der Verdichtung des Bestehenden, gefordert.
Einig waren sich Bürger*innen und Delegierte auch darin, dass ein breiter Mix an Maßnahmen erforderlich sein wird, um Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen: Sensibilisierung und Weiterbildung der Bevölkerung, partizipative Prozesse, Anreize und gezielte Förderungen, Reglementierung, eine systematische Überprüfung von Normen und Vorschriften, Abbau von bürokratischen Hindernissen, größere Gestaltungsspielräume gegenüber dem Staat und natürlich auch, aber nicht nur, technische Lösungen. Zudem fordern sie soziale Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit sowie mutige, positive, motivierende Botschaften.
Doch während man und frau im Klimabürger*innenrat inhaltlich Einigkeit über die neuen Vorschläge erzielte – nur ein einziger Vorschlag fand keinen Konsent –, kamen im Stakeholder Forum teils beträchtliche Widerstände und scheinbar unüberbrückbare Gegensätze zutage. In den Fachgruppen Mobilität sowie Ernährung und Landnutzung machten die Delegierten der Umwelt-, Sozial- und Kulturverbände sowie der Gewerkschaften die Erfahrung, dass die Delegierten der Wirtschaftsverbände sinnvolle Vorschläge „versenkten“, selbst aber kaum konstruktive Ansätze einbrachten. In der Gesamtheit sind trotzdem beide partizipative Prozesse als positiv zu bewerten.
Nun liegt der Ball bei der Landesregierung
Innerhalb von 90 Tagen, bis etwa Mitte Dezember 2024, müssen die einzelnen Ämter der Landesverwaltung zu den Abschlussberichten des Klimabürger*innenrates und des Stakeholder Forums detailliert Stellung nehmen. Die Phase der Evaluation endet mit der Konferenz der Ressortdirektor*innen. Zuletzt trifft die Landesregierung ihre Entscheidungen und gibt ihre finale Stellungnahme ab.
Die Erwartungen der Bürger*innen und Delegierten haben deren Sprecher*innen am 17. September klar artikuliert: Der Klimaplan und die Abschlussberichte dürfen keine Papiertiger werden. Die Landesregierung muss effektiv an der Umsetzung der Maßnahmen arbeiten und die Finanzmittel der zukünftigen Landeshaushalte dementsprechend verteilen. Dieser erste Bürger*innenrat und das Stakeholder Forum dürfen nicht der letzte Schritt gewesen sein, weitere partizipative Formate müssen folgen, die Bevölkerung konstant einbezogen werden. Die Südtiroler Bevölkerung muss ihre Mentalität ändern und in Zukunft anders leben, anders essen, anders wohnen, anders Energie verbrauchen und sich anders fortbewegen. Die Mitglieder des Klimabürger*innenrates sind dazu jedenfalls bereit.
Wir von Climate Action werden den Landeshauptmann beim Wort nehmen, wenn er sagt: „Es wird nur gemeinsam gelingen, als Gesellschaft. Es kann nicht funktionieren, wenn Politik glaubt, abgehoben Entscheidungen treffen zu können.“ In diesem Sinne erwarten wir, dass die Vorschläge der Bürger*innen und der Stakeholder berücksichtigt und umgesetzt werden. Damit dies geschieht, damit die Reduktionsziele des Klimaplans und die gesteckten Fristen eine rechtliche Verbindlichkeit bekommen und ihre Umsetzung auch formal eingeklagt werden kann, setzt Climate Action sich für ein Klimaschutzgesetz auf Landesebene ein. Südtirol soll nicht nur auf dem Papier, sondern in der realen Welt ein Klimaland werden!
Informationen und Dokumente:
Klimaplan-Monitoring von Eurac Research
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