Klimaschutz braucht ein solides Fundament 

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Ein Blick auf die internationale Tagung vom 11. April

Südtirol will mit seinem Klimaplan 2040 ein Zeichen setzen. Doch was nützt ein Plan ohne rechtliche Verankerung? Dass ein Klimagesetz rechtliche Verbindlichkeit schafft und langfristige Planungssicherheit sowie klare Verantwortlichkeiten schafft, zeigen andere Regionen Europas. Bei der Tagung sprachen Expert*innen aus Deutschland, Österreich und Italien. Die Tagung wurde gemeinsam vom Dachverband für Natur- und Umweltschutz, dem Heimatpflegeverband und Climate Action South Tyrol organisiert. Welche Elemente muss ein Landesklimagesetz enthalten? Wie können andere Länder Südtirol als Vorbild dienen? Was würde ein solches Gesetz für Bürger*innen, Wirtschaft und Verwaltung bedeuten?

Publikum

Klimaschutzgesetzgebung auf Bundesländerebene: das Musterbeispiel Baden-Württemberg

In Zeiten rasant voranschreitender Klimaveränderungen kommt der Gesetzgebung auf Landesebene eine immer größere Bedeutung zu. Baden-Württemberg gilt dabei als Musterbeispiel für effektiven und entschlossenen Klimaschutz in Deutschland und Europa. Seit der Einführung des ersten Klimaschutzgesetzes im Jahr 2013 hat sich das Land konsequent an der Spitze der Klimapolitik positioniert. Die jüngste Novelle vom 7. Februar 2023 setzt neue Maßstäbe – mit konkreten Sektorzielen, Klimaneutralität bis 2040 und einem klaren Mechanismus für Sofortmaßnahmen, falls die Ziele verfehlt werden. Maike Schmidt (Dipl.-Wirt.-Ing.) ist Vorsitzende des Klima-Sachverständigenrats Baden-Württemberg und im  Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung tätig. Sie beginnt den Vortrag mit einem Zitat des ehemaligen Chefökonoms der Weltbank aus 2006:

Maike Schmidt

 „Bis zum Jahr 2100 beugt jeder eingesetzte Euro für Klimaschutz bis zu zwanzig Euro an Klimaschäden vor.”

Des Weiteren unterstreicht die Expertin, dass der Klimawandel eine massive Bedrohung unserer Lebensgrundlagen bedeutet, der wir mit großer Entschlossenheit begegnen müssen. Mit dieser Haltung treibe Baden-Württemberg den Umbau seiner Industriegesellschaft voran – mit dem Ziel, bis 2050 die CO2-Emissionen um rund 90 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Bereits heute zeigt sich, dass ambitionierter Klimaschutz nicht im Widerspruch zur wirtschaftlichen Entwicklung steht. „Der Boom der Greentech-Branche führte sogar zu mehr Erwerbstätigen“, betont Schmidt.

Auch auf der Kostenseite gibt es positive Nachrichten: Der Klimaschutz hat zu keiner Erhöhung der Bruttostromkosten geführt. 

Aber was macht Baden-Württemberg so besonders? Das Land verfolgt verbindliche Ziele: Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um 65 % sinken – bereits 2023 war eine Reduktion um 31 % erreicht. Klare Sektorziele sorgen für transparente Verantwortlichkeiten und ermöglichen eine gezielte Steuerung der Maßnahmen. Ein Sanktionierungsmechanismus verpflichtet die Landesregierung bei Zielverfehlung zur Vorlage eines Sofortprogramms innerhalb von vier Monaten.

Der gesetzliche Rahmen ist besonders umfassend – mit Instrumenten wie einem Klimamaßnahmenregister, CO2-Schattenpreisen* und die Photovoltaik-Pflicht bei Neubauten. Unterstützt wird die Politik durch den unabhängigen Klima-Sachverständigenrat, der wissenschaftlich fundiert und sektorenübergreifend berät. Jetzt sind andere Regionen gefragt, ähnliche Wege zu gehen – bevor das Zeitfenster für wirksames Handeln endgültig geschlossen ist. 

* Der CO2-Schattenpreis gibt dem Treibhausgas CO2 (und weiteren klimaschädlichen Treibhausgasen) einen fiktiven Preis. Dieser soll die Folgeschäden des CO2-Ausstoßes eines Produktes / einer Lösung abbilden. Bei der Anwendung eines CO2-Schattenpreises wird außerdem die Laufzeit bzw. Nutzungsdauer einer Investition berücksichtigt.

Der Klimaschutz und seine gesetzliche Regelung auf Bundes- und Länderebene in Österreich

Viktoria Ritter vom Ökobüro in Wien zeigt die Situation im Nachbarland Österreich auf und gibt eine rechtliche Einordnung. Außerdem spricht sie über Wien – hier wurde in diesem Jahr als erstes Bundesland Österreichs ein eigenes Klimagesetz verabschiedet. 

Der Klimaschutz steht auch in Österreich vor einer zentralen Weichenstellung: Trotz verfassungsrechtlicher Bekenntnisse zum Umweltschutz und eines seit 2011 bestehenden Bundes-Klimaschutzgesetzes zeigen sich eklatante Schwächen in der Umsetzung. Insbesondere fehlende Verbindlichkeit, unklare Zuständigkeiten und das Fehlen von Sanktionen haben dazu geführt, dass die Emissionen seit 2015 wieder steigen – vor allem im Verkehr und in der Landwirtschaft.

Als erstes blickt die Expertin auf den Rechtsrahmen und Probleme auf Bundesebene. 

Das aktuelle Bundes-Klimaschutzgesetz ist ein reines Auftrags- und Verhandlungsgesetz. Zwar enthält es Sektorziele, doch seit 2020 existiert kein verbindlicher Reduktionspfad mehr. Auch Sanktionen bei Zielverfehlung fehlen völlig. Der Rechnungshof warnte bereits vor milliardenschweren Folgekosten durch den Ankauf von Emissionszertifikaten. Reformen wurden zwar angekündigt – unter anderem von ÖVP, SPÖ und NEOS – aber ein effektives Gesetz lässt weiter auf sich warten.

„Das Wiener Klimagesetz – Die Hoffnung auf Landesebene?“

Ein Lichtblick ist das neue Wiener Klimagesetz, das im März 2025 beschlossen wurde – das erste seiner Art auf Landesebene. Es formuliert das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 und sieht eine klimaneutrale Verwaltung vor. Dazu gibt es einen Klimafahrplan, ein Klimabudget sowie Klimachecks für Bauvorhaben und Gesetze. Ein Klimarat und eine Steuerungsgruppe sollen die Umsetzung begleiten.

Doch das Gesetz hat auch deutliche Schwächen: Es ist ein reines Governance-Gesetz ohne echte Rechtsverbindlichkeit. Sofortmaßnahmen sind möglich, aber nicht durchsetzbar. Der Klimafahrplan ist nicht einklagbar, eine unabhängige Überprüfung fehlt, ebenso wie eine Beteiligung unabhängiger Expert*innen.

Viktoria Ritter

Am Ende geht Ritter noch auf die mangelnde Umsetzung des Klimaschutzrechts in der Praxis ein. Neben dem Klimagesetz spielen auch andere Rechtsbereiche eine Rolle – wie Umweltverträglichkeitsprüfung, Raumordnung, Energierecht oder Forstrecht. Auch der nationale Energie- und Klimaplan, der laut EU-Vorgaben erstellt wurde, soll Klimaschutzmaßnahmen bündeln. Doch vielerorts bleiben Maßnahmen auf Landesebene reine politische Absichtserklärungen – oft ohne konkrete Umsetzung. Besonders der Naturschutz wird dabei laut Umweltorganisationen regelmäßig übergangen.

Ritter betont, dass nach einer Studie vom Ökobüro die Grundvoraussetzungen für ein wirkungsvolles Klimagesetz bereits erfasst sind. 

Welcher Rechtsrahmen und welche Governance für den Klimaschutz gelten in Italien auf staatlicher und regionaler Ebene?

Francesca Bellisai ist Expertin für Klimapolitik von ECCO (Think Tank sull’Energia e sul Cambiamento Climatico) in Mailand. Zu Beginn betont Bellisai, dass die nationale Klimapolitik durch eine fragmentierte und wenig transparente Governance-Struktur geprägt bleibt, obgleich Italien europarechtlich dazu verpflichtet ist, ambitionierte Klimaziele zu verfolgen. Eine klare gesetzliche Grundlage fehlt bislang, was sich in unkoordinierten Maßnahmen, unklaren Verantwortlichkeiten und verpassten Klimazielen zeigt.

Bellisai geht anfangs auf die europäische Ebene ein. Hier schafft eine EU- Verordnung (2018/1999 Governance-Regulation) den verbindlichen Rahmen. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Erstellung nationaler Energie- und Klimapläne, zur Einhaltung von Emissionsreduktionszielen und zur regelmäßigen Berichterstattung. Die EU setzt das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 sowie Zwischenziele für 2030 und demnächst auch für 2040 fest. Italien hat seinen nationalen Plan (PNIEC) als strategisches Instrument entwickelt. Doch bislang bleibt dieser Plan eher theoretisch: 

Francesca Bellisai

Die Datenlage ist unvollständig, die Verknüpfung zwischen Maßnahmen und Ergebnissen fehlt, und bei zentralen Themen wie „soziale Gerechtigkeit“ oder Investitionen sind die Angaben zu grob oder unklar.

Trotz eines Rückgangs des Gasverbrauchs seit 2021 um etwa 20 % beispielsweise, orientieren sich viele Planungen immer noch an veralteten Bedarfsannahmen. Auch die Emissionsziele gemäß der EU-Vorgaben werden verfehlt. Die Differenz zu den EU-Zielen für 2030 entspricht einer kumulierten Emissionslücke von etwa 100 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten, mit einem geschätzten Kostenwert von 15 Milliarden Euro.

Der Sektor Verkehr etwa verzeichnete zwischen 2021 und 2022 sogar einen Emissionsanstieg von 6,7 %, was den Trend in die falsche Richtung verstärkt. Der Zubau an erneuerbaren Energien bleibt weit hinter dem notwendigen Ausbau zurück.

Auch bei der Nutzung der Einnahmen aus dem EU-Emissionshandel zeigt sich mangelnde Governance. Von den 15,6 Milliarden Euro, die Italien durch Emissionszertifikate zwischen 2012 und 2024 eingenommen hat, wurden nur etwa 9 % tatsächlich für den Klimaschutz ausgegeben – weit unter dem gesetzlich vorgesehenen Mindestwert von 50 %. Der Rest blieb ungenutzt oder wurde nicht nachvollziehbar zugewiesen. Durch fehlende Governance entstehen somit Finanzierungs- und Umsetzungsdefizite. 

Der italienische Aufbau- und Resilienzplan (PNRR), der unter anderem für grüne Investitionen gedacht ist, leidet unter ähnlichen Problemen: hohe Bürokratie, geringe Umsetzungskapazitäten, komplexe Förderlogiken und fehlende Klima-Wirkungsanalysen.

Bellisai erklärt weiter, dass ein Lichtblick die Einbindung der Regionen und lokalen Akteure sei, wie sie durch die EU gefordert wird. Italien hat in einigen Bereichen einen Multilevel-Governance-Ansatz etabliert, der die Beteiligung von Regionen, Kommunen und zivilgesellschaftlichen Akteuren vorsieht. Doch auch hier fehlt ein gesetzlich kohärenter Rahmen, der Verantwortung klar zuordnet und Mitgestaltung sichert.

Italiens Klimapolitik: ein nationales Klima-Rahmengesetz und die Rolle der Regionen und Autonomen Provinzen

Der nächste Vortrag wird von Senatorin Aurora Floridia (Grüne/Verdi/Verc Alto Adige-Südtirol, Gruppo Autonomie) und  Senator Luigi Spagnolli (PD, Südtirol, Gruppo Autonomie) gehalten.

Aurora Floridia und Luigi Spagnolli

2023 wurde von der Senatorengruppe gemeinsam der Gesetzesentwurf „Legge quadro sul clima recante disposizioni per la definizione e l’adozione di strumenti necessari al raggiungimento dell’obiettivo della neutralità climatica“ im Senat in Rom eingebracht.  Aurora Floridia ist Präsidentin des Parlamentarischen Netzwerks für eine gesunde Umwelt des Europarats. Gemeinsam stellen Floridia und Spagnolli diesen Gesetzesentwurf vor. 

Ziel dieses Gesetzes (AS 743)  ist es laut Artikel 1, „alle notwendigen Maßnahmen und Instrumente zur Erreichung der Klimaneutralität zu fördern und umzusetzen, um die Auswirkungen des Klimawandels zu bekämpfen und zukünftige Umweltgefahren zu reduzieren.

Zentrale Inhalte des vorgeschlagenen Klimagesetzes:

  • Nationale Emissionsminderungspläne als Steuerungsinstrument
  • Ein wissenschaftlicher parlamentarischer Klimabeirat zur evidenzbasierten Politikgestaltung
  • Grüne Steuerreform mit dem Ziel, umweltschädliche Subventionen für fossile Brennstoffe abzuschaffen und klimafreundliche Maßnahmen, wie erneuerbare Energien und Energiegemeinschaften, zu fördern
  • Maßnahmen zur Anpassung und Minderung des Klimawandels, einschließlich eines Sozialfonds für das Klima
  • Stärkere zivilgesellschaftliche Beteiligung und transparente Fortschrittskontrolle
  • Koordinierung zwischen Staat, Regionen und Gemeinden bei der Umsetzung

Die Initiative wurde fraktionsübergreifend von mehreren Senator*innen unterstützt und wird derzeit von der 8. Ständigen Kommission für Umwelt im italienischen Senat geprüft. Die erste Lesung erfolgte am 1. Juni 2023.

Floridia betonte die bedeutenden positiven Effekte einer konsequenten Klimapolitik, wie eine Reduktion der Treibhausgasemissionen, Verbesserung der Luftqualität, niedrigere Energiekosten durch dezentrale erneuerbare Energien, Förderung einer grünen, nachhaltigen Wirtschaft mit neuen Arbeitsplätzen und langfristige Klimastabilität auch für kommende Generationen. Darüber hinaus unterstrich sie die Notwendigkeit, das Recht auf ein gesundes, sauberes und nachhaltiges Umfeld noch weiter politisch und rechtlich zu verankern – ein Anliegen, das beim Europarats-Gipfel 2023 in Reykjavík erstmals auf höchster Ebene anerkannt wurde.

Als Leitmotiv schloss Floridia ihren Vortrag mit einem Zitat des Südtiroler Friedens- und Umweltaktivisten Alexander Langer: „La conversione ecologica potrà affermarsi soltanto se apparirà socialmente desiderabile.

Ein Landesgesetz für den Klimaschutz und die Klimawandelanpassung in Südtirol: mögliche Inhalte und Regelungsbereiche

Im letzten Beitrag der Tagung werden mögliche Inhalte und Regelungsbereiche eines Landesklimagesetzes durch Thomas Benedikter (Heimatpflegeverband Südtirol) und Roland Plank (Dachverband für Natur und Umweltschutz Südtirol) konkretisiert. Ein detaillierte Beschreibung befindet sich im Dokument „Anforderungen an ein wirksames Landesklimagesetz“, das von Politis erarbeitet wurde.

Weitere Expertisen und Dossiers von Politis gibt es hier.

Weitere Infos zum CO₂-Schattenpreis gibt es hier.

Weitere Infos zum Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg gibt es hier.

Weitere Infos zu ECCO – dem italienischen Klimawandel Thinktank gibt es hier.

Weitere Infos zu Starken Gesetze für gutes Klima des Ökobüros gibt es hier.

Den Abschluss bildet ein gemeinsamer Appell der Veranstalter und Teilnehmenden: Südtirol braucht ein Landesklimagesetz – jetzt. Bereits über 40 Vereine und Verbände aus unterschiedlichen Bereichen, wie Jugend, Soziales, Gewerkschaften, Landwirtschaft, Kultur und Umweltschutz  unterstützen den Appell an die Politik. 

Diese breite Unterstützung betont einmal mehr, dass das Bewusstsein in der Gesellschaft und der Wunsch nach konkretem Handeln gegen die Klimakrise da ist“, so die Organisator*innen.

Die Tagung zeigt eindrucksvoll: Klimaschutz beginnt mit politischem Willen, aber er braucht ein solides rechtliches Fundament. Der Ball liegt nun bei der Politik in Südtirol.

Foto Raum

Alle Fotos ©Hanna Battisti